Das kleine und das große Licht

Licht in der Finsternis. Licht im Schatten des Todes. Das feiern wir Christenmenschen in dieser Nacht.

Ein Fest, das der Realität verpflichtet ist. Es bringt nicht nur das Licht, sondern auch die Finsternis zur Sprache. Das Christfest redet die hässlichen Seiten des Lebens nicht schön. Es lullt die Menschen nicht ein mit Kerzenschein, Süßigkeiten und Gänsebraten. Es teilt kein religiöses Opium aus, das Gemütlichkeit verbreitet und die Augen verschließt vor der Welt, wie sie ist.

Das Licht, das mit der Geburt des Messias in die Welt gekommen ist, macht die dunklen Seiten des Lebens deutlicher sichtbar. Es schärft den Blick für die hässlichen Orte dieser Welt. Nur wer das Dunkle in unserer Welt nicht vergisst und die Schatten in seinem Leben nicht verdrängt, kann sich an dem Licht freuen, das aus der Höhe zu uns kommt.

Das Licht ist ein Königskind. Geboren in der alten Königsstadt Bethlehem. Ein Davidsohn. Er wird sich als Gegenkönig erweisen. Es liebt die Widerworte und leitet an zum Widerstand. Zum gewaltfreien Widerstand. Es bestreitet die Macht des Kaisers in Rom und seines Landpflegers in Jerusalem genauso wie die des Kinderschlächters Herodes. Auch heute ist mit seiner Geburt den korrupten Potentaten und den Tyrannen dieser Welt der Kampf angesagt, auch wenn fromme Christen in Amerika oder Großbritannien oder Russland verblendet sie bejubeln.

Das Königskind ist ein Judenkind. Damit ist über Gottes Ort in der Welt entschieden. Wieder wählt Gott das Unscheinbare, das von Menschen Verachtete, das von den Bauleuten Verworfene. Wieder kommt Gott in Israel zur Welt, in seiner ersten Wahl.

Damit erhellt das Licht aus der Höhe die Parteilichkeit Gottes in der Tiefe. In der Bibel heißt diese Parteilichkeit „Gottes Erbarmen“. Gottes Solidarität mit den Leidenden, auch mit den Gottlosen, sogar mit Gottes Feinden. Gott ist nicht der große Unparteiische im Himmel, kein Allerwelts-Gott. Kein „lieber Gott“, der so ist, wie manche es von ihrem Hund sagen „Der ist lieb. Der tut nichts. Der will nur spielen“. Im Kind dieses jüdischen Mädchens aus der Provinz zeigt Gott sein wahres Gesicht. Gott ergreift Partei – wie bei Befreiung aus der Sklaverei Ägyptens, die Partei der Unterdrückten und Verfolgten und an den Rand Gedrängten.

So wird das Königskind und das Judenkind zum Flüchtlingskind. Auf der Flucht vor denen, die ihm nach dem Leben trachten, bittet es um Zuflucht in einem fremden Land und findet Asyl ausgerechnet in Ägypten. So bringt es Licht zu den Flüchtenden, zu denen, die im Schatten des Todes leben.

Und zugleich richtet sich das Licht aus der Höhe wie ein Scheinwerfer auf die Fluchtwege durch Wüsten, über Gebirge, durch Flüsse und über das mörderische Mittelmeer – und auf die Grenzen, die die Fluchtwege versperren. Damit wir Leidverschonten nicht wegschauen und mit den Achseln zucken „Da kann man ja doch nichts machen.“ So lenkt es unsere Schritte auf den Weg des Friedens und der Gerechtigkeit.

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Noch steckt das Kind in den Windeln. Noch stecken das Heil und die Rettung, die es bringt, in den Windeln. Noch ist erst ein kleines Licht entzündet. Darum feiern wir heute das kleine Licht. Das Fest der Kerzen. In einer dunklen Kirche, zu unüblicher Zeit in einer dunklen Nacht.

Wir freuen uns an der Macht des kleinen Lichtes. In einer finsteren Höhle zerstört nur eine Kerze die ganze Macht der Finsternis. Sich an einer Kerze, an einem kleinen Licht, zu erfreuen, ist darum besser, als auf die Dunkelheit zu schimpfen. Frieden können wir nicht schaffen – ob mit oder ohne Waffen. Aber Schritte auf dem Weg des Friedens und der Gerechtigkeit. Das ist es, was wir können, wozu wir fähig sind.

Das Meer des Elends dieser Welt können wir nicht ausschöpfen. Das Überleben unseres Planeten können wir nicht machen. Was wir können, sind unsere Schritte lenken. Auf den richtigen Weg – und die falschen Wege der Vergangenheit verlassen. Umkehren können wir und in die richtige Richtung gehen. Da kann ein sechzehnjähriges Mädchen zur Wegweiserin für die ganze Welt werden. Und was wir können, das sollen wir tun. Der erste Schritt ist bekanntlich der schwerste. Das Kind aus Bethlehem ist ihn gegangen. Darum können wir ihm folgen.

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Auch das königliche Judenkind ist nur erst das kleine Licht. Es wird verglichen mit dem Morgenstern, der Morgenröte, dem Morgenglanz. Es ist das Licht in der Nacht. Das Licht, das den kommenden Tag ankündigt. Die Botschaft dieses Lichtes ist eine Trostbotschaft, die Hoffnung stiftet. Mitternacht ist vorüber. Das Schlimmste ist überstanden. Noch ist es finster, aber es bleibt nicht finster. Der Tag wird kommen, auch wenn du noch nichts von ihm siehst als einen hellen Stern am Himmel.

Hinter den Kulissen, hinter deinem Rücken, ohne dass du daran beteiligt bist, bahnt sich der Tag seine Bahn. Auf den Fidschi-Inseln wissen sie schon, was wir nur glauben können. Die Sonne ist nicht von der Finsternis verschluckt. Die Sonne ist auf dem Weg. Das große Licht kommt.

Wir feiern das kleine Licht, weil wir auf das große Licht warten. Darum findet das Lichterfest in dieser Nacht statt. Drei Nächte nach der längsten Nacht des Jahres. Die Sonnenwende vertreibt die Angst vor dem Sieg der Finsternis. Wer die Gestirne beobachtet, der weiß es seit drei Nächten. Jede der letzten drei Nächte währt ein paar Minuten kürzer. Was bei der Sonnenwende Menschen, gelähmt von der Finsternis, noch nicht glauben können, das wird Nacht für Nacht und Tag für Tag zu einer wachsenden Gewissheit: Das Licht siegt über die Finsternis. Heute am dritten Tag wird diese Gewissheit mit einem rauschenden Fest gefeiert.

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Licht in der Finsternis – das feiert heute auch das Judentum mit seinem Chanukka-Fest. Licht in der Finsternis – das feiern viele Menschen in vielen Religionen in dieser dunklen Jahreszeit. Alle erfreuen sich an den kleinen Lichtern. Die Religionen geben ihnen viele verschiedene Namen. Viele Wahrheiten, die Klarheit und Verstehen bringen. Viele Zuwendungen, die Herzen erwärmen. Viele Wegweiser, die Orientierung geben.

Alle Religionen bringen die kleinen Lichter. Wie die Kerzen in unserer Hand, Fragmente des Richtigen und Gerechten, die unsere Schritte lenken auf den gemeinsamen Weg des Friedens. Die kleinen Lichter sind die Vorboten des Großen, wie Morgenstern und Morgenglanz für die später aufgehende Sonne.

Das große Licht ist unverfügbar. Wir besitzen es nicht. Auch der Messias, der Christus, ist uns nicht verfügbar. Wir Christen gehören dem Christus, aber der Christus gehört nicht uns. Wir können uns nicht mit ihm identifizieren. Und wir können uns mit ihm schon gar nicht von anderen abgrenzen. Er hat das Sagen, nicht wir.

Das große Licht – das können wir nur – wie alle anderen – empfangen, ihm vertrauen, ihm glauben und darum mutig und entschlossen der Zukunft entgegen gehen.

Die Erfahrungen mit der Natur helfen, die Trostbotschaft der Morgenröte, den Trost des kleinen Lichtes zu glauben. Jeden Morgen neu und jeden Winter neu. Das Licht siegt über die Finsternis, das Leben über den Tod, Gerechtigkeit über das Unrecht, Frieden über Krieg und Gewalt. Die das glauben, die gleichen dem Vogel, der singt, solange es noch dunkel ist. Darum lade ich Sie ein, mit Paul Gerhardt zu singen:

Ich lag in tiefster Todesnacht, / du wurdest meine Sonne, / die Sonne, die mir zugebracht / Licht, Leben, Freud und Wonne. /  O Sonne, die das werte Licht / des Glaubens in mir zugericht’, / wie schön sind deine Strahlen!

Predigt an Heiligabend 2019 in der Erlöserkirche in Jerusalem

Unser Gott ist voll Erbarmen. Darum wird auch der helle Morgenglanz aus der Höhe zu uns kommen, um denen Licht zu bringen, die in der Finsternis und im Schatten des Todes leben, und um unsere Schritte auf den Weg des Friedens zu lenken.  (Lukas 1, 78-79)

 

 

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Mit aufrechtem Gang und erhobenem Haupt

Ganzen „Völkern wird bange sein“, sie „verzagen“, sie „vergehen vor Furcht“. Das Meer ist entfesselt. Himmel und Erde „werden ins Wanken kommen“. Angst und Schrecken verbreiten Bibeltexte wie diese. Eine der üblichen Höllenpredigten, die die Sektierer innerhalb und außerhalb der Kirchen so lieben? Biblische Texte, die dem Glauben an einen liebenden menschenfreundlichen Gott stracks zuwider laufen? Solche Apokalyptik ist nichts für mich. Mit erhobenem Haupt, die Nase hoch, wende ich mich ab. Stolz sehe ich herab auf die, die sich von Sektierern bange machen lassen.

Es könnte sein, dass mein Stolz lediglich der Stolz eines Leidverschonten ist, der es sich in der Adventszeit gemütlich macht und die Augen verschließt vor den anderen, die auf ihrer Flucht im entfesselten Meer ertrinken. Der Leidverschonter, „fröhlicher Weihnacht“ entgegen sieht, während andere sich vor diesem Fest fürchten, weil in diesem Jahr für ihre Familie alles so schrecklich anders geworden ist. Der Leidverschonte, der sich am Strand in Tel Aviv in der Sonne aalt, während südlich und nördlich und östlich von ihm ganzen Völkern bange ist, Frauen und Kinder verzagen und auch starke Männer vor Furcht vergehen.

Auch Jesus war ein Apokalyptiker, ein Hell-Seher, einer mit Durchblick, einer mit klarem Blick für die Realitäten des Lebens und den Zustand unserer Welt. Aber anders als die Apokalyptiker von heute, machen Jesus und die anderen biblischen Apokalyptiker die Menschen nicht bange. Sie machen ihnen nicht die Hölle heiß. Sie lehren sie nicht die Angst vor Tod und Teufel und schon gar nicht vor Gott. Sie lehren uns das Gegenteil: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!“

Das ist nicht das vor Stolz erhobene Haupt eines Leidverschonten. Es ist eine Haltung und ein Verhalten, das angesichts der Hölle auf Erden nicht den Mut verliert, das angesichts des Leides nicht verzagt, das auch in aller Verzweiflung nicht die Hoffnung aufgibt. Es ist die Haltung des trotzigen Dennoch.

„Mit aufrechtem Gang und erhobenem Haupt“, so hat Immanuel Kant Menschen beschrieben, die aus selbstverschuldeter Unmündigkeit befreit wurden, befreit von religiösen Ängsten zu kritischem Denken, befreit ihren Verstand zu gebrauchen, wo sein Gebrauch hilfreich ist, Aberglaube und Kinderglaube hinter sich zu lassen und erwachsen zu werden, auch religiös erwachsen zu werden.

Ein Programm, das in dieser Stadt so nötig ist wie in kaum einer anderen. An allen Ecken dieser Stadt blüht und gedeiht unaufgeklärte Religion und mit dieser Gestalt von Religion der Irrationalismus, der ins Verderben führt, der Menschen verführt, Leben zu verachten und Freiheit zu hassen. Religion als Nährboden der Gewalt.

Aufrechter Gang und erhobenes Haupt sind Zeichen der Freiheit. Es ist die Gangart der Religion der Freiheit in jüdischer, muslimischer und christlicher Spielart. Eine Religion, die lehrt, mit aufrechtem Gang und erhobenem Haupt durchs Leben zu gehen, ist die Gegenkraft zu religiösem Fundamentalismus in jüdischer, muslimischer und christlicher Spielart.

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Wie lernen wir die Haltung des aufrechten Gangs und erhobenen Hauptes? Jesus verweist uns auf zwei Quellen, auf zwei Lehrbücher. Beide haben einen adventlichen Charakter, weil sie uns das Warten lehren. Und damit wenden sie unseren Blick in die richtige Richtung. Mit der richtigen Blickrichtung richtet sich auch unser Gang in die richtige Richtung.

Das eine Lehrbuch ist die jüdische Bibel. Die geheimnisvolle Figur des Menschensohnes ist eine Metapher, ein Bild, zu dem andere Bilder gehören. Im Buch Daniel ist zum ersten Mal davon die Rede, und dann in vielen Schriften, die die Juden zur Zeit Jesu gelesen haben. Mit dem Bild des Menschensohnes erschließt sich dem kundigen Bibelkenner eine Bilderwelt, mit der das ganze Weltgeschehen in Geschichte und Gegenwart beschrieben wird. Darin ist der Menschensohn ein kraftvolles Gegenbild. Er ist ein Gegenbild zur Welt der Raubtiere, der Welt der Löwen, Adler, Bären, Panther. Ein Gegenbild zu einer Welt, in der die Starken die Schwachen fressen, einer Welt ohne Erbarmen. Die Welt, in der Menschen sich wie Tiere verhalten, so war die Welt und so ist sie. Die Mächtigen regieren sie wie Raubtiere. Ungeniert setzen sie die Raubtiere sogar in ihre Wappen. Einer ist dem anderen ein Wolf, ein Bär, ein Löwe, ein Adler.

Was die Leidverschonten fremd anmutet, das ist die tägliche Erfahrung derer, die die Hölle auf Erden am eigenen Leibe erleben. Sie finden sich darin wieder, weil ihre Welt einem Schlachthaus gleicht, durch das sie im Blut waten. Ihre Welt ist das Haus des Menschenfressers, der keine Gnade kennt. Was gibt ihnen in dieser Welt voll Blut und Tränen Zuversicht? Was gibt ihrem Glauben Nahrung und ihrer Hoffnung Kraft? Was sie tröstet, um wieviel mehr wird es die Leidverschonten trösten! Was tröstet sie?

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Der Menschensohn. Er ist das Gegenbild zu den Raubtieren. Symbol für Menschlichkeit und Urbild der Humanität. Ein Bild für das kommende Gottes Reich. Er ist der Kommende, weil er der Bleibende ist. Auch wenn Himmel und Erde vergehen, er bleibt. Und er bleibt für uns, weil er zu uns redet. Der Menschensohn ist Gottes bleibendes Widerwort zur Welt der Raubtiere. Keine billige Vertröstung, die die Welt der Raubtiere verdrängt. Vielmehr wirkungsvoller Trost, weil der Menschensohn sich mit der Welt der Raubtiere anlegt, den Kampf mit ihnen aufnimmt und am Ende der Sieger bleibt. Und der Sieger über Tod und Teufel behält seinen Sieg nicht für sich. Er wird allen daran Anteil geben.

Wer diesem Widerwort traut, wird selber befähigt, Widerworte zu geben, allen voran das machtvolle Dennoch. „Eure Herren gehen, unser Herr kommt“, werden die sich laut oder leise vorsagen, die dem Menschensohn trauen. Ihr aufrechter Gang und ihr erhobenes Haupt lenkt ihren Blick vom halbleeren Maß auf das halbvolle Maß. Der das Maß schon halb gefüllt hat, gibt uns die Gewissheit, dass es nicht halbvoll bleibt.

Und das schon gesprochene Widerwort wird uns nicht nur zu Widerworten sondern auch zum Widerstand befähigen. Im Vertrauen auf den Menschensohn werden wir der Welt der Raubtiere widersprechen und widerstehen, soweit es uns möglich ist. Und darum werden wir nicht bejammern, dass wir dem Meer des Elends nicht gewachsen sind, sondern entschlossen tun, was wir tun können zur Humanisierung der Welt.

Die Apokalyptik der Sektierer ist Drohbotschaft. Biblische Apokalyptik ist Trostbotschaft. Unser Herr kommt. Das Reich der Humanität, in dem Gerechtigkeit und Friede sich küssen, ist nahe herbei gekommen. „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!“

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Und wen das noch nicht überzeugt, den verweist Jesus neben der Bibel wie so oft auf ein zweites Lehrbuch. Das Buch der Natur. Ein Buch täglicher Erfahrung. Auch der Jakobusbrief weiß das Buch der Natur zu schätzen, wie wir eben in der Lesung gehört haben.

In jeder Jahreszeit hält das Lehrbuch der Natur für uns eine Lektion bereit. Was wir im Frühjahr an den Knospen des Feigenbaumes lernen können, das lernen wir im Dezember an einem kahlen Mandelbaumzweig. Das Kommende ist heute schon präsent, auch wenn unsere Augen es nicht sehen. „Erinnert euch!“, sagt die Natur. Was im Winter wie tot aussieht, das begeistert euch in zwei oder drei Monaten als zauberhafter Blütentraum, das lässt euch im Sommer die Früchte sehen und im Herbst sie ernten und genießen. Vertraut wie der Bauer und die Gärtnerin auf die Schöpferkraft Gottes!

Manchmal gerät mein Glaube in den Winter. Ich fühle mich saft- und kraftlos wie ein dürrer Ast, wie die kahlen Bäume, die es auch in diesem Land in dieser Jahreszeit gibt. Dann habe ich die Lektion der Natur nötig. Meine Zweifel und Mängel sind doch nur eine Momentaufnahme. Was der Frühling und Sommer an kahlen Bäumen hervorbringen, das alles steckt jetzt schon in ihnen. Sie haben‘s „in sich“.

Selbst ein abgeschnittener Ast hat’s noch in sich. Wasser und Wärme treiben heraus, was wir jetzt nicht sehen. Was heute wie Realität aussieht, – Tod und Kraftlosigkeit – das wird als Schein entlarvt. Das Leben setzt sich durch.

In manchen Gegenden stecken Menschen am 4. Dezember, dem Tag der Hl. Barbara, kahle Zweige in die Vase. Zwanzig Tage, drei Wochen später, am Christfest, stehen sie in voller Blütenpracht. So lassen sie sich in dunkler Zeit das Evangelium predigen. Der Kommende ist unterwegs. Das Leiden ist nicht endlos. Dein Leben ist nicht hoffnungslos. Ihr seid solche, die es schon „in sich“ haben.

Tut, was eures Amtes ist! Wie der Bauer, der gesät hat, und die Gärtnerin, die gepflanzt hat, nicht ihre Hände in den Schoß legen, sondern genug zu schaffen und reichlich zu arbeiten haben, so auch ihr! „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!“ Und tut, was heute für euch dran ist, auch wenn es nur Fragmente sind! So lebt ihr adventlich, dankbar und voller Erwartung. Amen.

Predigt über Lukas 21, 25-33  Zweiter Sonntag im Advent, 8. Dezember 2019  Erlöserkirche Jerusalem  Lukas 21

25 Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, 26 und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen. 27 Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. 28 Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. 29 Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle Bäume an: 30 wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wisst ihr selber, dass der Sommer schon nahe ist. 31 So auch ihr: Wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist. 32 Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht. 33 Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.

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„Was wird aus mir, wenn ich tot bin?“

„Was wird aus Kevin, jetzt, wo er tot ist?“ Gerne hätte ich Kevins Mutter geantwortet, dass ihr Sohn jetzt im Himmel ist, in einer anderen Welt und dass es einmal ein Wiedersehen mit ihm gibt. Gerne hätte ich eine tröstende, wenn auch nur eine vertröstende Antwort gegeben, die die schmerzende Frage zufrieden erledigt hätte.

Aber für mich gibt es keine befriedigende Antwort auf diese Frage. Auch keine Antwort auf die Frage: „Was wird aus mir, wenn ich tot bin?“ Statt einer Antwort ruft diese Frage Neugier in mir wach. Der Gedanke an meinen Tod macht mich neugierig. Ich weiß nicht, was kommt. Aber ich bin gespannt auf das, was kommt, wenn etwas kommt.

Je älter ich werde, desto wichtiger ist mir die Kargheit dieser Hoffnung. Es ist die Hoffnung des Alten Testaments. Mit ihr haben wir unseren Gottesdienst heute begonnen. In Psalm 73 heißt es am Ende nach einer langen Klage über die Vergänglichkeit: „Dennoch. Dennoch bleibe ich. Stets.“ Wo bleibe ich? „An dir, Gott.“ Wieso? „Denn du hältst mich.“ Ich bleibe, denn du Gott hältst mich.

Was also bleibt? Gott allein bleibt. Der Bleibende. Oder die Bleibende. Ich vergehe. Wie alle Geschöpfe. Mit Leib und Seele. Von mir bleibt nichts als ein Häufchen Erde oder Asche. Im Kreislauf der Stoffe: Buchsbaum und Stiefmütterchen, die übliche Friedhofsbepflanzung. Ich vergehe. Gott allein bleibt.

Diese bittere, aber realistische Einsicht kann ich aushalten, weil der Bleibende nicht ein Gott ist, der für sich bleibt. „Israels Gott bleibt nicht für sich. Er bleibt für uns.“ Das ist die Hoffnung der Juden. Die Hoffnung auf die Treue ihres Gottes, mit dem sie im Bunde stehen. Und das ist auch die Hoffnung des Juden Jesus, wie wir eben in der Lesung des Evangeliums gehört haben.

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Auch zu seiner Zeit gab es die Hoffnung auf ein ungebrochenes Weiterleben nach dem Tod so, als ob wir das Leben mit denen, die vor uns gestorben sind, einfach fortsetzen könnten – vielleicht unter idealeren Bedingungen als hier auf Erden.

Viele unserer Jenseits-Witze spiegeln das: „Kommt ein Mensch in den Himmel …“, so fangen sie an. Dann können wir lachen. Aber den meisten Menschen wird mit der Welt der Jenseits-Witze der Zugang zu einer ernsthaften Hoffnung über den Tod hinaus verstellt. „Kommt eine Frau in den Himmel und findet dort ihre sieben vor ihr verstorbenen Männer…“ Jesus jedenfalls nennt solche Wunschvorstellungen „Irrtum“. Und darin bestätigt er seine kritischen Fragesteller, die Sadduzäer, die diese Hoffnung durch diese konstruierte absurde Geschichte verspottet hatten. Ihr habt recht, sagt Jesus. So ist es nicht.

Aber für Jesus ist die Zerstörung solcher naiven Vorstellungen über das Jenseits nur die halbe Wahrheit. Er sagt den Sadduzäern auch: „Ihr irrt.“ Anders als sie rechnet Jesus mit Gottes Schöpferkraft, die auch an den Toten schöpferisch verwandelnd handelt. „Sie werden sein wie die Engel im Himmel“ (nicht: sie werden zu Engeln). Das meint: die Toten bleiben Geschöpfe, aber werden in einer Weise verwandelt, die alle Vorstellungskraft übersteigt. Da gibt es kein Wissen, sondern bloße Neugier.

Und dann lässt Jesus die Fragesteller selber erkennen, dass „der Gott der Lebenden“, wie die Sadduzäer ihn provokativ nennen, mit Abraham, Isaak und Jakob auch Jahrhunderte nach deren Tod im Bunde steht, weil er sich mit seinem Namen an sie gebunden hat. Was also auch nach Abrahams, Isaaks und Jakobs Tode bleibt, ist ihre Beziehung zum Gott der Lebenden. Jesus hat exakt dieselbe karge Hoffnung, wie sie in Psalm 73 ausgesprochen wird. Was bleibt, ist die Bundestreue Gottes, also die in Gottes Initiative begründete Beziehung zu ihm, der nicht fahren lässt das Werk seiner Hände.

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Israels Gott ist kein stummes Schicksal, sondern einer, der spricht, der sich äußert, der aus sich heraus geht. In menschlichen Worten können wir Gottes Stimme vernehmen. In jedem Gottesdienst. Weil Gott zu uns redet, glaubt Gott an uns, noch bevor wir an ihn glauben können; vertraut er uns, damit wir ihm vertrauen können. Wenn Gott spricht, wendet Gott sich uns zu, so ruft Gott ins Leben. Die, die Gottes Stimme in menschlichen Worten hören und vertrauen, die haben das Leben, das ewige Leben. Es beginnt nicht nach unserem Tod, sondern hier und heute. Unter dieser Kanzel und an diesem Tisch beginnt erneut für uns das ewige Leben, das Leben, dem kein Tod etwas anhaben kann. Unser Tod ist dann zwar noch das Ende unseres kreatürlichen Lebens, aber nicht das Ende unseres Menschseins. Denn er ist nicht das Ende unseres Verhältnisses mit Gott.

Im Neuen Testament wird also auf die Frage „Was bleibt, wenn ich tot bin?“ keine andere Antwort als im Alten Testament gegeben. Die Treue Gottes, die zunächst im Bund Gottes mit Israel begründet ist, wird mit dem Messias auf alle Völker und die ganze Schöpfung bezogen.

Hier wie da sind Menschen gewiss, dass der Schöpfer ihnen als seinen Geschöpfen die Treue hält. Der die Welt aus dem Nichts geschaffen hat, der Israel erwählt hat und in Liebe verbunden bleibt, der sich auch die Gottlosen recht sein lässt, der ist auch für mich da, dem Kind aus der Völkerwelt. Und der ist auch dann noch für mich da, wenn ich nur noch Erde und Asche, quasi „nichts“, geworden bin. Neuschöpfung wird von Gottes Treue erwartet. In der Neuschöpfung erweist der Schöpfer seine Treue zur alten Schöpfung, indem er sie neu schafft, also – verwandelt.

Schöpferische Verwandlung das sind nicht abstrakte theologische Gedanken. Schöpferische Verwandlung nimmt die Bibel gleichnishaft auch in der Natur wahr. Allerdings anders als in der Moderne sahen die Menschen der Antike die Aussaat der Samenkörner als einen Vorgang des Sterbens an: sie fallen in die Erde, sterben und werden zu Erde.  „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht“, sagt Jesus (Johannes 12,24). Und Paulus schreibt – so haben wir es eben gehört – „Was du säst, wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt“ (1. Korinther 15, 36). Der Schöpfer, der aus dem Nichts schöpferisch Neues schafft, macht die Saatkörner zu neuen Geschöpfen (V.38), die ihre alte Gestalt um ein Vielfaches an Schönheit und staunenswerter Herrlichkeit übersteigen. Und dennoch sind sie nicht etwas völlig Neues, sondern mit den „gestorbenen“ Saatkörnern identisch. Das Neue ist die Freiheit von der „Sklaverei der Vergänglichkeit“ (V.42.50; Römer 8,21), wie auch immer diese Freiheit aussieht.

Für Menschen von heute noch plausibler ist der Hinweis auf den Schmetterling, der sich auf alten Grabsteinen und neuerdings auch in Todesanzeigen als Symbol für jenseitige Hoffnung findet. Er illustriert – besonders überzeugend für Kinder – gleichnishaft die Schöpferkraft Gottes: Die Raupe wird zur (scheinbar toten) Puppe, aus der im Frühjahr der Schmetterling schlüpft.

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Was wird aus mir, wenn ich tot bin? Ich weiß es nicht, aber ich bin neugierig darauf. Gottes Stimme heute weckt Neugier in mir auf das, was kommt. Da ist kein Platz für jenseitige Schreckensbilder, kein Platz für jüdische, christliche oder muslimische Apokalyptik mit Feuer und Folter, mit Schmerzen und Strafen. Kein Dies Irae. Kein höllisches Feuer. Was Mozart, Dvorak oder Verdi mit ihren Requiem-Vertonungen so eindrucksvoll inszeniert haben, das ist für mich nichts als Oper- und Theaterdonner.

Johannes Brahms hat mit seinem Deutschen Requiem die biblische Gegenbotschaft mindestens ebenso eindrucksvoll vertont. Tod, wo ist dein Stachel?, heißt es da zum Schluss. Hölle, wo ist dein Sieg? Gott sei Dank! Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand und keine Qual rühret sie an. Ewige Freude wird über ihrem Haupte sein. Und Schmerz und Seufzen wird weg, weg, weg müssen.

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Alles gut? Eigentlich wäre das ein schöner Schluss-Satz für eine Trostpredigt am Totensonntag. Aber dann wäre es eine Predigt nur für die Leidverschonten, nur für das eigene Wohlergehen. Die aber noch eine Rechnung mit dem Herrgott offen haben, die sind nicht zufrieden mit einer solchen Trostpredigt. Die stellen die bohrende Frage: Und wo bleibt Gottes Gerechtigkeit? Wer auf die Treue seines Schöpfers hofft, der hofft auch auf seine Gerechtigkeit. Die Rechtlosen, die Entrechteten, die Opfer von Gewalt und Unrecht, die brauchen Gottes gerechtes Gericht. Darum ist der Trost angesichts menschlichen Sterbens nicht zu haben – ohne die Hoffnung auf Gottes Gericht.

Aber bei Gottes Gericht geht es anders zu als im mittelalterlichen klassischen Requiem-Text. Unsere menschlichen Richter – jedenfalls in unserem Rechtssystem – sind in erster Linie an der Bestrafung der Täter interessiert. Unser abendländisches Recht ist täterorientiert und opfervergessen. Aber im letzten Gericht sind nicht wir Menschen die Richter, sondern der Menschensohn. Der Richter ist einer, der selber zum Opfer gemacht wurde, dem Unrecht geschehen ist. Er weiß, wie Opfern zumute ist, die vergeblich auf Recht hoffen und darüber sterben.

Der Richter in der Bibel ist in erster Linie an den Opfern interessiert. Der Richter ist nicht der große Unparteiische, sondern der Rechtshelfer. Richter und Anwalt zugleich. Das ist die biblische Hoffnung, dass Gott Recht schafft, denen hier auf Erden das Recht vorenthalten, abgeschnitten, genommen wurde. In diesem Rechtshandeln gewinnt die Treue des Schöpfers zu seinen Geschöpfen Gestalt.

Was Gott mit den Tätern im Gericht macht, das wissen wir nicht. Ich hoffe, dass ihm Besseres einfällt als uns, Besseres, als sie nur zu bestrafen. Ich wünsche den Tätern, dass sie ihren Opfern begegnen, dass sie so mit ihren Taten konfrontiert werden, dass sie bereuen, was sie getan haben. Ich hoffe, dass Gott auch mit uns so umgeht, die wir auch Täter und Täterinnen sind. Ich hoffe, dass Gott, der auch Täterinnen und Tätern treu ist, sie umkehrt und verwandelt. Ich glaube, dass der Richter, das Gesicht des gekreuzigten Menschensohnes hat, das „Haupt voll Blut und Wunden“. Und ich bete darum, dass auch wir als Täter und Täterinnen im letzten Gericht „sehn sein Bilde in seiner Kreuzesnot“. So hoffe ich, wird dann wirklich „alles gut“. Amen.

Predigt über Johannes 5, 24-29  Totensonntag, 24. November 2019  Erlöserkirche in Jerusalem

Psalm 73,23-28 Epistel: 1.Korinther 15, 35-38.42-44 Evangelium: Markus 12, 18-27

Johannes 5

24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. 25 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören, die werden leben. 26 Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber; 27 und er hat ihm Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist. 28 Wundert euch darüber nicht. Es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden, 29 und es werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.

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Deutscher Volkstrauertag in Nazaret

My speech:

Today in Germany people have come together in order to commemorate at first fallen soldiers of both world wars and second victims of the German National-Socialism and fascism and third victims of violence, dictatorship and terrorism in our present. On this way Germans have been celebrating Memorial Day since almost 70 years.

In the time before the German Memorial Day had have a totally different character. Exactly hundred years ago, 1919, when the first Democracy was established in Germany, the idea of a first common German Memorial Day was born. At the very first time Germans from different parts of Germany with different traditions and different religions should commemorate on the same day: people from Bavaria and Prussia, from Rhineland and Saxonian, Protestants and Catholics and Jews. A united nation commemorated its fallen soldiers. That was the idea.

But the Memorial Day for the victims of the own nation was a Memorial Day against the other nations. Mourning for the own dead produces hostility and hatred for the other nations. This kind of commemorating stabilizes the image of the others as perpetrators: We are the victims, the other are the perpetrators. And hostility and hatred produce a new war.

And the Nazis changed the name of the Memorial Day consequently into a “Memorial Day for the Heroes”, for our heroes, for the Nazi-heroes and for the German heroes. If this day nothing else than a commemoration of our own heroes, the next war has already been prepared.

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It was very hard in the first years of the second German democracy to change the mind about the Memorial Day, to change the “Memorial Day for our heroes” into a “Memorial Day for all victims”. I’m old enough and young enough to remember the discussions and debates about the character of this Memorial Day in the fifties and sixties of the last century.

Today we all are happy that nowadays the Democratic Germany celebrates Memorial Day like the other nations. We commemorate those who became German victims of the violence of others and those who became victims of German violence. So every Memorial Day is an opportunity to learn to go in the shoes of the others, to overcome hatred and hostility, to promote justice and peace.

I’m glad to meet here representatives of nations who fought against each other in WW I and in WW II. You came together in order to commemorate victims of violence, people of different nations. So you all establish an impressive sign of the will of your nations to cooperate for freedom and justice, for reconciliation and peace. Thank you all and thanks to God.

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Israel celebrates Memorial Day some weeks after Pessach in springtime. I lived in Israel for five years – in Nes Ammim, a Christian village not far from here. Every year I experienced the Israeli Memorial Day in this country. On Yom HaZiqaron European volunteers living and working in Nes Ammim went to the graves of two volunteers of our village who were killed in the struggles of the past. Every year we commemorate in solidarity with thousands of Israeli grieving for their killed parents, siblings, children, friends and neighbors.

But the most impressive experience was sharing the Eve of Memorial Day in Tel Aviv. Thousands of people, and every year more, gather in a big hall to commemorate their victims. Jewish and Arabic Israeli and Palestinians celebrate the Memorial Day together. Organized by the “Combatants for peace” and the so called “Parents circle” or “Family Forum”. People publicly share their stories. A Jewish father who lost his daughter killed by a suicide bomber; a Palestinian mother who lost her child killed by a soldier because the child threw stones. They all learnt to go in the shoes of the others, to discover that the other is not the killer of their child, but a mother, father, sister, brother mourning as themselves.

They all experienced the power of changed anger, the possibility to overcome hatred, to go on the path of understanding and reconciliation step by step.

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The ideological basic for this kind of commemoration is the commandment to love your neighbor. This commandment is written midst in the Tora. “Israel love your neighbor, because he is like you!” Love is genuine Judaism. More than that is the commandment to love the stranger. “Israel love the stranger, because you’ve been a stranger too!”. It’s the most mentioned commandment in the Tora.  And the peak is the commandment to love your enemy. All three commandments are genuine Jewish commandments, written in the Tora and in the Tenach. Here love is not a feeling, not an emotion. It’s an act and action. Very simple and elementary: “If your enemy is hungry, give him bread! If your enemy is thirsty, give him a cup of water!” Everybody can do so.

Christians and Muslims learnt this moral from Jews. And now we have to learn it from each other. Later we want to listen to these commandments from our Holy Books. Memorial Day is an opportunity to act and behave in a better way today than yesterday and tomorrow than today.

German cemetery of fallen soldiers in Nazaret

17th November 2019

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Commemorating Kristallnacht in Nes Ammim / Israel

Commemorating „Kristallnacht“ is a double challenge for me. I’m challenged as a German and I’m challenged as a Christian and especially as a Christian theologian. Tonight, I’ve been invited as the representative of the Protestant Church of Germany in Israel. Therefore, I emphasize the theological challenge of this commemoration.

Decades ago, I already learnt: one root and probably the most powerful root of modern antisemitism is the Christian antisemitism. Christian church and theology contributed to the horrible pogroms in Germany in November 1938, 81 years ago. They delivered the dangerous ideology. So, the topic of my speech is this contribution of church and theology and the question how we can avoid this fatal doctrine today which produces murder and terror against Jews and at last the Shoah.

“We Christians know more than the Jews. We know their Messiah. Jews are blind for the truth.” These are the three basic claims – Christian antisemitism roots in. Through these claims church and theology promoted the Christian attitude of superiority and a habit of religious arrogance.

The history of church and theology lasting almost two thousand years shapes us. It shapes our collective consciousness and our subconscious, our thinking and preaching, our acts and attitudes. It doesn’t unfortunately stop in our present. Starting with the New Testament, increasing with the Greek and Latin Church Fathers, the Good Friday Sermons in Mediaeval Europe, Martin Luther and the Christian Theology of all churches in the 19th and 20th Century.

Most of the Christians in Asia and Africa don’t know Jews personally face to face, they are not responsible for the Shoah, yes, but they teach and preach the antisemitic theology they learnt from the European missioners. The churches in North- and South-America didn’t persecute Jews, not at all, but they teach and preach the same superiority and religious arrogance. “We Christians know more than the Jews. We know their Messiah. Jews are blind for the truth.”

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Nes Ammim, the sign of the nations and the sign for the nations, started a counter-movement against this tradition. It’s part of a European Christian movement turning back traditional theology for 180 degrees. Nes Ammim is the materialization of this new European Theology. Its program is “Learning from Jews”. And Nes Ammim offers facilities for this learning program since more than fifty years.

First of all the program “Learning from Jews” is the counter-program against “Teaching Jews”, against “Missionizing Jews”, against “Converting Jews.” Everybody living and working in Nes Ammim is committed to this program, committed through his voluntary signature. All kinds of missionizing Jews are strictly forbidden, because we believe that missionizing Jews is against God’s will.

And second “Learning from Jews” means acknowledging that 80 % of Christian doctrine is Judaism. Believing in the One invisible God, gracious and merciful, loving rights and justice, giving commandments, the Ten Commandments, the commandment to love the neighbors and the strangers, the commandment to love the enemies, and the expectation of a new world of justice and peace. That’s all genuine Judaism. Christians have learnt that all from Jews. And they have to continue learning this from and with Jews.

Just the belief in the Messiah is different between Jews and Christians. For Jews the identity of the Messiah is an open question. Christians believe that the crucified and resurrected Jesus is the Messiah. This difference is what we have to sustain.

So, third “Learning from Jews” means also learning from this difference, learning from the Jewish NO to the Messiah Jesus. In earlier times the church taught the NO to the Christian belief is a Jewish deficit. Belief in Jesus as Messiah is something that they lack. But their NO is not a defect, which somehow we must overcome, that we must evangelize them and make them into Christians. Rather, the Jewish NO is an advantage for us Christians, an opportunity to learn our own confession in a better way. We have to learn, that Jesus is not a pill we have to swallow in order to get salvation but the universal Lord, free, independent, souverain. He is the judge, not we Christians.

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The Christian doctrine about Jesus Christ – exactly that is the problem of the present. How do Christians confess Jesus as the Messiah today?

They can do this in an aggressive way. The Christology can become an attack against Judaism and Islam and therefore a new root of Christian antisemitism and islamophobia. And many Christians confess Jesus as the Messiah in such a modern antisemitic way.

They claim the exclusivism of Christianity. “Christ alone”. “There is no way to God but Jesus Christ”. “Jesus Christ is the one and only truth”. And they interpret these sentences as claims of the Christian exclusive truth, of the fundament of the Christian religion. Some of those Christians call themselves “fundamentalists”. Thousands of them come to Israel. They claim “We love Israel. We love Zion”. They call themselves “Christian Zionists”. For some of them the love to Israel includes hostility against Muslims, Arabs, Palestinians. Most of them don’t know that there are Christian Palestinians,  even evangelical Palestinians. Therefore, the government of Israel and the right-wing parties love the Christian Zionists. They don’t see their hidden antisemitic message “Just a baptized Jew is a good Jew.”

“Just a baptized Jew is a good Jew.” That’s the message not just of Christian Zionists, but also the message of so called “Messianic Jews”. During my five years in Nes Ammim I were always looking for “Messianic Jews”. I met a lot of them in Nahariya, Akko, Kiryat Yam, Karmiel, Haifa, Tel Aviv, Jerusalem… But what I found under the label “Messianic Jews” were English or Russian speaking Evangelical Christians. There wasn’t a lot in their services reminding of Judaism. But I heard horrible sermons in the Messianic Jewish congregations about the other Jews who refuse to believe in the Messiah Jeshua. There was the same superitority and the same religious arrogance as I knew from my own Christian tradition. They disappointed my hope that this religious arrogance has been overcome. And therefore, Nes Ammim is a place neither for Christian Zionists nor for so called Messianic Jews.

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Nes Ammim is a place for learning. We too confess: “Christ alone”. “There is no way to God but Jesus Christ”. “Jesus Christ is the one and only truth”. But his truth is not our truth. Christ is the truth, not the Christian doctrine about him. The confession “Christ alone” doesn’t exclude others, neither Jews nor Muslims nor anyone else. “, „Christ alone” is an inner Christian differentiation. Christ alone—not Christianity. Christ – not our Christology. We belong to the Messiah, but the Messiah doesn’t belong to us.

So, our Christology is polemic too, an attack, but not against other religions. Our Christology attacks our own Christian triumphalism, our own Christian religious arrogance, our own Christian claims of superiority.

From the beginning Nes Ammim makes it clear through avoiding the cross as a Christian symbol. You don’t find any cross in the village including this house of prayer and study – except the national flag of Switzerland on our museum-bus. We never hide that we are Christians, but we didn’t do that with the symbol of the cross. The cross was the symbol of Christian triumphalism. The cross reminds Jews and Muslim of their experience of persecution by church and Christianity, of forced baptism, of torture and murder. So, we can’t make understandable what the cross means for Christians, the victory of life over death. Nes Ammim doesn’t use the symbol of cross for outing us as Christians. We use the symbol of fish. Confessing Jesus Christ in solidarity with all suffering victims. A sign of humbleness instead of triumph.

A cross on a chain belongs to my dress code as representative of my church. But today I left it at home. Showing the cross and commemorating “Kristallnacht” – that doesn’t fit together.

We confess Jesus crucified and resurrected as Messiah. But the Messiah who came is not in our hands, not in our minds, books and sermons. He is the upcoming Lord independent from all human trials to take him, to identify with him. The question for the Messiah is an open question for Christians too, it is open for the answer of the Messiah himself.

The Almighty will triumph, not the Christian teaching about the Almighty. The One will triumph, who in grace created the universe. And about this point, we have much to learn from one another: Christians, Jews, Muslims, Hindus, and atheists.

The sculpture in our atrium preaches us. The sculpture is a sermon against any religious arrogance and superiority. Be aware! Fighting against antisemitism and against the hidden antisemitism, hidden under religious superiority, is necessary today as in the past.

Commemorating “Kristallnacht” means learning from the past for our present and future. Commemorating “Kristallnacht” means: Don’t follow the preachers of Christian superiority, rather follow the teachers of Christian humbleness, who teach us listening to the other, learning from the other, dialogue with the other. That is our lesson for today.

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Dankbar und unzufrieden

Predigt über Apostelgeschichte 3,1-10

8.September 2019 – Erlöserkirche in Jerusalem

Petrus aber und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit. Und es wurde ein Mann herbeigetragen, der war gelähmt von Mutterleibe an; den setzte man täglich vor das Tor des Tempels, das da heißt das Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen. Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen. Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an! Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge. Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazaret steh auf und geh umher! Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, er sprang auf, konnte stehen und gehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott. Und es sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben. Sie erkannten ihn auch, dass er es war, der vor dem Schönen Tor des Tempels gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was ihm widerfahren war.

Mein Freund Harald mag Predigten nicht über Bibeltexte wie diesen. Er fürchtet pastorale Sprüche. „Gott bringt uns in Bewegung…, nimmt uns unsere Lähmungen…, stellt uns auf die Beine. Wir sind ja alle gelähmt…“. „Nein“, sagt Harald, „ihr seid nicht gelähmt. Ich bin gelähmt. Seit meinem Unfall mit achtzehn. Aus meinem Rollstuhl heraus höre ich solche Sprüche mit Zorn.“

Obwohl Harald nicht hier ist, hat er mich gezwungen, den Bibeltext mit seinen Ohren zu hören. Er warnt mich und Sie, es uns mit Heilungsgeschichten der Bibel nicht zu leicht zu machen. Sie sind keine leichte Kost, die ins Gleichnishafte aufgelöst werden könnte. Ihr Materialismus liegt schwer im Magen. Ihr Realismus ist kaum zu verdauen.

Heilungsgeschichten der Bibel sind Widerworte. Waghalsig und verwegen. Sie wagen, sich mit einer übermächtigen Wirklichkeit anzulegen. Sie wagen, der realen Welt der beschädigten Schöpfung zu widersprechen.

Einerseits sind sie sich der Übermacht der Welt, der sie widersprechen, bewusst. Sie nehmen den Mund nicht zu voll. Sie wissen, dass sie nur von Fragmenten des Heils und der Heilung erzählen, nur Bruchstücke der Welt, wie sie sein soll, präsentieren.

Aber andererseits sind sie sich auch ihrer eigenen Realität bewusst. Echte Heilungen realer körperlicher Beeinträchtigungen. Nicht nur Herzen und Seelen, nicht nur Gefühle und Stimmungen werden hier geheilt. Sondern physische Leiden und soziale Verhältnisse.

Diese Gegenwelt ist die in dieser Welt anbrechende Herrschaft Gottes, für die Jesus geredet und gehandelt hat, das Gottesreich, das Himmelreich. Und diese um sich greifende reale Gottesherrschaft ist auch nicht durch den Tod Jesu tot zu kriegen. Die Geschichte der Apostel beschreibt die gleichen Phänomene wie die Evangelien. Wie Jesus heilen sie Gelähmte. Sogar ihr Schatten und ihre Taschentücher verbreiten diese ansteckende Gesundheit und entreißen sogar Todgeweihte dem Tod und verlängern deren Leben.

Und wie bei Jesus erscheint die Gegenwelt der Gottesherrschaft nur in Bruchstücken. Zwei Gelähmte hat Jesus wieder ans Gehen gebracht. Tausende bleiben gelähmt. Von sieben Blinden wird erzählt, dass sie geheilt wurden. Tausende lässt der Heiland blind. Dreizehn Aussätzige. Tausende lässt er ungeheilt, stumm, taub, tot.

Das Fragmentarische der Herrschaft Gottes öffnet unsere Augen für ihre heutigen Erscheinungen. Sie geschehen auch heute in Jerusalem, die realen Heilungen. Im christlich-palästinensischen Auguste-Victoria-Hospital auf dem Ölberg im Osten dieser Stadt genauso wie im israelischen Hadassa-Krankenhaus im Westen am gegenüber liegenden Rand dieser Stadt.

Wenn der Krebs rechtzeitig erkannt, behandelt und entfernt werden konnte, dann sagen die Atheisten: „Ich bin dem Tod nochmal von der Schüppe gesprungen“. Die anderen singen auf Arabisch und auf Hebräisch wie in Deutschland auf Deutsch demselben Gott Loblieder. Sie wissen, dass sie ihre Heilung der Lebenskraft Gottes verdanken.

In meiner Heimatstadt Wuppertal steht über dem Eingang zum evangelischen Bethesda-Krankenhaus in Stein gemeißelt das Bibelwort, das wir eben aus dem 2. Buch Mose gehört haben: „Ich bin der Herr, dein Arzt.“ Kranke und Gesunde, Ärztinnen und Ärzte sollen wissen, wer das Leben schenkt. Gottes Geistkraft, die das Leben schafft, ist auch die Heilerin des Lebens. Selbst Jesus hat den Seinen erklärt, dass es die Geistkraft Gottes ist, die durch ihn, den menschlichen Heiler, heilt. Sie heilt durch menschliche Kunst und sie relativiert alle menschliche Kunst. Je differenzierter die wissenschaftlich begründeten Heilungsprozesse verlaufen, desto mehr lassen sie uns ehrfurchtsvoll staunen. Auch medizinisch erklärbare Heilungen sind Geistheilungen. Pfingstwunder. Unverdiente Geschenke verlängerten Lebens.

Gottes Geistkraft heilt durch ärztliche Kunst, durch Medikamente, Operationen, Maschinen…, aber sie heilt auch ohne sie und gelegentlich sogar gegen sie. Das sind auch gegenwärtige Erfahrungen. Manchmal stellen sich Heilungen ein, die auch Ärztinnen und Ärzte in Staunen versetzen. Prozesse, die sie nicht mal sich selbst erklären können. Gottes Geistkraft „hat viel tausend Weisen zu retten aus dem Tod“, wie wir gerade mit Paul Gerhardt gesungen haben

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Aber die Geistkraft Gottes ist nicht nur für Überraschungen gut, sondern auch für Enttäuschungen. Mein Freund Harald wird nicht mehr ans Laufen kommen. Alle ärztlichen Prognosen waren bittere Enttäuschungen für ihn. „Ich bleibe an meinen Rollstuhl gefesselt“, sagt er voller Wehmut. Und manchmal auch voller Wut.

Und trotzdem kann er auch von erstaunlichen Heilungen erzählen. „Ich bin geheilt worden von meiner Haltung ‚Alles oder nichts‘“, sagt er. „Ich habe gelernt, die kleinen Schritte der Besserung zu schätzen, von denen die nichts wissen, die vor Gesundheit strotzen. Und Schmerzlinderung ist auch eine Form der Heilung, von der ihr Schmerzverschonten keine Ahnung habt. Im Rückblick wage ich auch von „Heilung“ zu sprechen, wenn ich an den (Jahre währenden) Prozess denke, in dem ich gelernt habe, mich anzunehmen mit meiner gravierenden Bewegungseinschränkung. Ich bin und bleibe ein behinderter Mensch. Ein Rollstuhlfahrer. Das auszusprechen, war mir früher nicht möglich.“

Manchmal erzählt er von Rosa, die mit ihren zehn Jahren zu seiner Lehrerin wurde, obwohl er sie nur aus der Erzählung ihrer Religionslehrerin kannte. In der „Schule für Körperbehinderte“ (wie man früher sagte) hatte diese Lehrerin in einer Unterrichtsreihe über die „Hoffnung“ den Kindern die Aufgabe gestellt, Bilder von ihren Hoffnungen zu malen. Wunderbare Dokumente, wie sich Kinder mit Behinderungen eine Welt ohne Behinderungen vorstellen. Laufen, Schwimmen, Fliegen…

Vor Rosas Bild fragte die Lehrerin verblüfft: „Warum hast du dich denn im Rollstuhl gemalt?“ Mit großen Augen schaute Rosa auf: „Der Rollstuhl gehört doch zu mir. Aber im Himmel stört er nicht mehr.“

Kindliche Weisheit, die unsere Definitionen von Krankheit und Gesundheit, von Behinderung und Heilung durch einander bringt. Eine Weisheit, die das Widersprüchliche und Paradoxe des Lebens nicht aufhebt und nicht schön redet, sondern lehrt, es aus zu halten. Hoffnung gegen alle Hoffnung. Das hat auch der alte Harald von der jungen Rosa gelernt.

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Hoffnung gegen alle Hoffnung bewirkt die Geistkraft dessen, der menschliches Leiden und Sterben auf sich genommen hat und gerade auf diese paradoxe Weise dem Leben zum Sieg verholfen hat. Der Herr, der aufrichtet, ist der, der selber in Gethsemane in die Knie gegangen ist. Der die Macht hat zu helfen, hat sich am Ölberg die Hände binden lassen. Der allein Unsterbliche hat sich auf Golgatha töten lassen.

Der Blick auf die Widersprüche Jesu erzeugt einen alten kraftvollen jüdischen Widerspruch. Die Psalmen singen davon Lieder. Es ist der Grundton vieler Psalmen. Die Geistkraft macht beides zugleich: Dankbar und unzufrieden. Nicht nur unzufrieden wie die atemlosen Aktivisten. Und nicht „dankbar und zufrieden“, wie die bürgerliche Moral lehrt. Satt werden wir hier im Gottesdienst nicht, auch nicht am Tisch des Herrn. Wir bleiben hungrig, weil wir auf den Geschmack gekommen sind. Die Geistkraft, die heilt, schmeckt nach mehr. Sie lässt uns nie zu früh zufrieden sein. Dankbar ja, aber nicht zufrieden. Nein. Dankbar und unzufrieden.

Dankbar und unzufrieden macht der Jesusname, auf den die Apostel sich berufen. Er ist keine Zauberformel, zu der verantwortungslose Exorzisten ihn bis heute gemacht haben. Der Jesusname ist ein Platzhalter. Bis heute nutzen Juden aussprechbare Wörter als Platzhalter für den unaussprechlichen Namen Gottes: z. B. HaSchem (der Name), HaMaqom (der Ort). Ein solcher Platzhalter ist der Jesusname. Ein menschlicher Name mit Hinweischarakter, der über sich hinaus weist auf den lebendigen Gott und seine Geistkraft.

Freilich ein Name, dem widersprochen wird, der den Streit nicht vermeidet. Heilung physischer Leiden und sozialer Verhältnisse, das ist die Kraft des Subversiven, die sich mit den Mächtigen anlegt. Petrus und Johannes werden kurze Zeit später ins Gefängnis gebracht. Das ist nicht die Jesusbewegung gegen die Juden (wie christliche Theologie die Apostelgeschichte bald zweitausend Jahre lang falsch ausgelegt hat), sondern die jüdische Jesusbewegung gegen ihre jüdische Obrigkeit. Herrschaftskritisch ist die Geistkraft. Das haben wir für unsere Kirche zu lernen. Das war sie damals in Jerusalem. Das ist sie heute in Jerusalem und nicht nur hier.

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Ich bin dankbar, dass ich am Ende meines Lebens noch einmal Pastor sein darf. Pastor einer charismatischen Gemeinde, einer Jerusalemer Pfingstgemeinde.

Keine von den Pfingstgemeinden, zu denen der brasilianische Präsident gehört, der gewissenlos seinen Regenwald abfackelt und andere Verbrechen begeht. Keine von den nordamerikanischen Pfingstgemeinden, die unkritisch die Untaten ihres Präsidenten bejubeln.

Eine herrschaftskritische Pfingstgemeinde im Herzen Jerusalems, zu der Menschen gehören, die mich seit Jahren beeindrucken und die ich in den letzten Tagen hier wieder getroffen habe. Menschen, die krank sind. Menschen, die krank sind vor Sehnsucht. Vielleicht kann man so krank vor Sehnsucht nur in Jerusalem sein, dem Ort, an dem die Widersprüche zwischen Verheißung und Erfahrung kaum größer sein können. Und ein Ort, an dem die Sehnsucht nach Heil und Heilung kaum größer sein kann. Eine Sehnsucht die erwächst aus der Dankbarkeit für die vielen schon erfahrenen Fragmente von Heil und Heilung.

Eine Gemeinde, die sich ihrer Verstrickung in den deutschen Kolonialismus und ihrer Verstrickung in die Shoa gleichermaßen bewusst ist. Eine Gemeinde, die tapfer ihre Verantwortung für ihre deutsche Geschichte und ihre evangelische Kirchengeschichte wahrnimmt und sich mutig den Spannungen und Herausforderungen stellt, die daraus heute erwachsen.

Eine Gemeinde, die – entgegen den Anfängen ihrer Geschichte – weder ihr Deutschtum noch ihren Protestantismus gegen andere ins Feld führt, sondern geschwisterlich verbunden mit den vielen anderen Kirchen in dieser Stadt den Dreieinigen Gott lobt und gemeinsam mit ihnen nach Frieden und Gerechtigkeit sucht und ihnen nachjagt.

Die mit Juden und Muslimen gemeinsam die Dankbarkeit für erfahrene Heilungen übt und die Sehnsucht nach der versprochenen heilen Welt wach hält.

Ich bin dankbar, für ein Jahr Euer Pastor zu sein, und ich bin mit Euch zusammen voller Neugier auf das Unvorhersehbare, das Gottes Geistkraft schaffen wird. Komm, Schöpfer Geist! Veni creator spiritus! Ja, komm, Herr Jesus. Maranatha!

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Araber in Israel

Amir spricht aus, was ich so ähnlich von vielen Arabern in Israel gehört habe. Zitiert aber wird von seinem Satz oft nur der erste oder nur der zweite Teil. In Israel und Palästina genauso wie in Deutschland. Und dann wird Amirs Satz in sein Gegenteil verkehrt. Er heißt: „Ich bin glücklich, als Araber in Israel (und nicht in einem arabischen Land) geboren und aufgewachsen zu sein, aber ich bin als Araber in Israel nur ein Bürger zweiter Klasse.“ Dass Araber in Israel nur „Bürger zweiter Klasse“ sind,  höre ich von vielen, die im Nahostkonflikt Araber als die Opfer sehen und Israel auf die Anklagebank setzen. Sie verschweigen den ersten Teil des Satzes. Umgekehrt höre ich nur den ersten Teil des Satzes, nämlich dass die Araber glücklich sein können, in Israel geboren und aufgewachsen zu sein, vor allem von der Regierung Israels und allen, die kritiklos mit ihr sympathisieren. Sie verschweigen oder bestreiten den zweiten Teil von Amirs Satz. Amir weiß die Segnungen eines demokratischen Rechts- und Sozialstaates zu schätzen, umso mehr wenn er in Israels Nachbarstaaten schaut. Er genießt, dass er versichert und versorgt ist, aber noch mehr genießt er die demokratischen Grundrechte, die Arabern in vielen arabischen Staaten verwehrt sind.

Von Samer lerne ich, wie gefährlich sein Name in Israel ist. Er erzählt von einer Art Messe für junge Hochschulabsolventen in Israel. Renommierte Firmen sind in einer Messehalle in Tel Aviv auf der Suche nach jungen Wissenschaftlern, die sie für Führungspositionen gewinnen wollen. Nach seinem Hochschulabschluss am Technion in Haifa hat auch Samer eine solche Messe besucht. Mit seinen gepflegten Umgangsformen und exzellenten Zeugnissen war er ein begehrter Gesprächspartner. Aber regelmäßig wurden die Gespräche abgebrochen, wenn sein Name fiel. Er verrät nämlich, dass Samer nicht nur Israeli, sondern auch Araber ist oder ein Palästinenser, wie er sich selbst nennt. Einer von den ca. 2 Millionen, nahezu einem Viertel der Bevölkerung Israels, die keine Juden sind. „Wir sind Bürger zweiter Klasse, die auf vielfältige Weise in Israel benachteiligt sind“, sagt auch er. „Natürlich gibt es Palästinenser in der Firma, aber doch bitte nicht in Führungspositionen. Wenige Ausnahmen bestätigen die Regel.“ Es half ihm nicht, dass er fehler- und akzentfrei Hebräisch spricht. Er ist und bleibt einer von den anderen.

Im Bus komme ich mit Hosam ins Gespräch. Er ist Araber und auf dem Weg nach Hause. Professor am Technion in Haifa, ein international renommierter Naturwissenschaftler, wie ich später lernte. Wenn er den Bus verlässt, muss er noch zwei Kilometer auf einem Schotterweg zu Fuß steil nach oben in die Berge gehen. Das große Dorf, in dem er aufgewachsen ist und jetzt mit seiner Familie lebt, hat weder eine Verkehrsanbindung, noch Kanalisation noch Strom- und Wasseranschluss, vom Internet ganz zu schweigen. Es ist eines der vielen vom israelischen Staat nicht anerkannten arabischen Dörfer, über denen das Damoklesschwert einer Abbruchverfügung schwebt. Wer von seinen internationalen Kollegen lebt in ähnlichen Verhältnissen wie dieser arabische Professor in Israel? Er erzählt mir, wie eingeschränkt die Möglichkeiten für Araber in Israel sind, Haus- und Grundbesitz zu erwerben und dass in den siebziger Jahren arabisches Land in großem Stil staatlich enteignet wurde, Obst- und Olivenbaum-Haine in Kiefernwälder verwandelt wurden, um eine Rückkehr der arabischen Bevölkerung zu verhindern. Zu vielen arabischen Siedlungen gibt es keine Hinweisschilder. Die neuen Eisenbahnlinien in Galiläa führen nur in jüdische Städte, die rund dreihunderttausend Bewohner in und um Nazaret und Sachnin sind nach wie vor auf Busse angewiesen. „Arabisch als zweite Amtssprache? Nur auf dem Papier. Die sprachlichen Fehler auf offiziellen Dokumenten und Schildern sind nicht zu zählen. Unsere Nachbarin, die kein Hebräisch gelernt hat, wollte neulich bei der Polizei einen Diebstahl melden. Aber es gab niemanden in dieser großen Polizeistation, der Arabisch, die zweite Amtssprache, verstehen konnte. Wir Araber sind in diesem Land Bürger zweiter Klasse“, sagte er bitter zum Abschied.

Im Jahr 2012 wurde eine Zeremonie im Fernsehen übertragen, bei der die Spitzen des Staates stehend die Nationalhymne „HaTiqwa“ sangen, die die Hoffnung der Juden ausdrückt, einst im ihrem Land Zion leben zu können. Die Kamera schwenkte von Gesicht zu Gesicht. Bei einem ernst und respektvoll dreinblickenden älteren Herrn verharrte sie etwas länger. Er war der einzige, dessen Lippen sich nicht bewegten, der die Hymne offensichtlich nicht mit sang. Salim Jubran, der einzige arabische Richter im Obersten Gericht Israels. Der ranghöchste der arabischen Staatsbürger Israels. Dem Vorfall folgte eine heftige mediale und öffentliche Debatte über das Für und Wider. Verhält er sich illoyal oder gar feindlich dem Staat gegenüber, den er prominent repräsentiert? Muss er gegen sein Gewissen handeln oder ihm gerade folgen? Kann nur durch Singen oder auch durch Nichtsingen Respekt ausgedrückt werden? Wann werden arabische Bürger Israels zu „Bürgern zweiter Klasse“?

Sind sie Araber oder Palästinenser? Die Römer haben im zweiten Jahrhundert ihre (!) Provinz „Judäa“ nach der Niederwerfung des Bar-Kochba-Aufstandes in „Palästina“ umbenannt. Die europäischen Kolonialherren, humanistisch gebildet, bezeichneten im 19. Jahrhundert darum so diesen Teil des Osmanischen Reiches. Auch die Juden Europas, auch die Zionisten nannten dieses Land „Palästina“. Erst nach der Staatsgründung Israels gab es eine „Sprachregelung“, den Begriff „Palästina“, der wegen seiner Entstehungsgeschichte als antisemitisch eingestuft wurde, durch den „biblischen“ Begriff „Eretz Jisrael“ zu ersetzen. Die aus politischen Gründen verordnete Sprachregelung provozierte in den sechziger Jahren eine politische motivierte Revitalisierung „Palästinas“. Die 1964 gegründete Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) machte daraus einen Kampfbegriff und meinte damit das ganze Land. Jetzt gab es beides nur als  Alternative „Israel oder Palästina“. Bis heute werden sowohl in Israel als auch in Palästina fast nur Landkarten benutzt, in denen das ganze Land entweder „Palästina“ oder „Israel“ genannt wird. Das schürt auf beiden (!) Seiten Existenzängste. Die Juden fürchten durch solche Ideologie nach Westen ins Meer getrieben zu werden, die Palästinenser nach Osten in die arabische Wüste. Auf beiden Seiten ist die Gruppe klein, die Israel in den Grenzen von 1949 definiert (und das Existenzrecht Palästinas garantiert und dessen Staatlichkeit befördert) und die Palästina auf Westbank und Gazastreifen begrenzt (und das Existenzrecht Israels garantiert). Das ist die Position der Europäer – und die „offizielle“ der israelischen Regierung und der Palästinensischen Autonomiebehörde. Ich nenne Menschen so, wie sich selbst nennen. Darum habe ich gelernt, zu differenzieren zwischen den Palästinensern, die Staatsbürger Israels sind, denen, die Einwohner Jerusalems sind, denen, die in der Westbank leben, denen, die im Gazastreifen leben, und denen, die im Exil leben.

Offiziell feiert am Jom HaAzma’ut das jüdische Land seine jüdische Unabhängigkeit. Das ist die Ideologie. In Wirklichkeit feiert das ganze Land BBQ-Tag. Araber begehen den Tag nicht anders als Juden. Was tun arabische Familien am liebsten, wenn alle frei haben und es nicht regnet? Richtig. Grillen. Oder in der Sprache des Landes: Barbecue. BBQ vereint am Unabhängigkeitstag Juden und Araber im Land. Abends, morgens, mittags, abends: Alle grillen. Halal, koscheres und unkoscheres Fleisch. Über dem ganzen Land liegt eine Rauchwolke. Selbst Vegetarier und Veganer auf beiden Seiten sind nicht davon ausgeschlossen. Sie grillen Kartoffeln, Gemüse und Früchte. Der Feiertag für die in jeder Hinsicht multiple BBQ-Gemeinde. Es erinnert mich daran, wie wir in der Bundesrepublik Deutschland früher unseren Nationalfeiertag, den 17. Juni, begangen haben. In Israel dient diese Entpolitisierung des Nationalfeiertages der Friedfertigkeit. Die Frage, ob man mit oder ohne blau-weiße Fähnchen grillt, gerät von einer ideologisch hoch besetzten Frage der Politik zu einer marginalen praktischen Frage der Dekoration.

Politisch werden die Staatsfeiertage in Galiläa allerdings auch alternativ begangen. In Kfar Kana treffen sich seit Jahren Juden und Palästinenser, um gemeinsam ihrer jeweiligen Katastrophen, der Shoa und der Nakba  zu gedenken. Ich war jedes Jahr am Vorabend des Jom HaSikaron in einer Messehalle in Tel Aviv mit rund fünftausend Menschen, Juden und Palästinensern. Unter dem Motto „Verbunden im Schmerz und verbunden in Hoffnung“ galt dieses Gedenken den Opfern beider Seiten. Es war geprägt von dem Willen, alles dafür zu tun, dass nicht im nächsten Jahr wieder neue Opfer zu beklagen sind. Was in Deutschland Jahrzehnte gedauert hat, das schaffen diese Menschen seit vierzehn Jahren. Einen Heldengedenktag, der neuen Hass produziert, zu einem Volkstrauertag zu verwandeln, der Brücken der Verständigung, der Versöhnung und des Friedens fördert.

Ich habe als Studienleiter fünf Jahre in dem christlichen Dorf Nes Ammim in West-Galiläa gelebt. Zu unseren unmittelbaren Nachbarn gehören nicht nur Juden sondern auch viele Araber. Bevor die über dreißig Olivenbäume in Nes Ammim Ende Oktober geerntet werden, ist die gesamte Gemeinschaft der Freiwilligen jedes Jahr bei Joseph, dem langjährigen palästinensischen Freund Nes Ammims, zur gemeinsamen Ernte eingeladen. Und das ist nicht nur Oliven Pflücken. Das ist auch Essen und Trinken in arabischer Tradition. Da sind alle vom Kleinkind bis zum Greis auf den Beinen und tun das, was jede und jeder gerade noch oder schon kann. Da nehmen Europäer an einer morgenländischen Sitte teil und lernen orientalische Lebensart kennen. Ungewöhnlich ist schon, dass Joseph mich als Christen bittet, einen jüdischen Segen (Psalm 65) für die Oliven der muslimischen Familie zu sprechen, bevor die Ernte beginnt.

In Israel können mit der Olivenernte Juden nur dann etwas anfangen, wenn sie aus arabischen Ländern stammen, die Misrachi. In unserem jüdischen Nachbardorf Regba führt das dazu, dass die dort stehenden uralten Olivenbäume nicht von seinen (aus Mitteleuropa stammenden) jüdischen Bewohnern geerntet werden, sondern die Palästinenser aus dem Nachbardorf Mazra‘a alle Jahre wieder zur Ernte herüber kommen, wie es schon Brauch war, als es dieses jüdische Dorf noch gar nicht gab. Ein schöner Akt nachbarschaftlichen Friedens, durch den die jüdischen Kinder von klein auf lernen, dass vor den Juden längst Araber im Land lebten, die diese Bäume einst gepflanzt und gepflegt haben.

Josephs Eltern und Großeltern sind im Juli 1948 aus Dörfern in Nes Ammims Nachbarschaft vertrieben worden, die bis auf einige Reste gänzlich zerstört wurden. Die Ernten auf wasserreichem fruchtbarem Boden seiner Vorfahren fahren heute zwei Kibbuzim ein. Eine Entschädigung hat es für seine Familie nie gegeben. Obwohl er die Plantagen fast täglich umfährt, hat ihn das nicht bitter gemacht. Er sinnt nicht auf Revanche. Er möchte trotz allem mit den Juden in seinem Lande in Frieden leben. Er ist kein Landwirt, sondern Lehrer. Gerade deshalb hat es ihn getrieben, ein Stück Land zu kaufen, auf dem er Oliven- und Obstbäume angepflanzt hat. Ein pädagogischer Akt für seine drei Kinder und deren Generation. Sie sollen im praktischen Vollzug die Wachstumskraft der Erde und darin den Segen des Schöpfers kennenlernen, an den Juden, Christen und Muslime glauben und der sie zu friedlichem Zusammenleben auffordert. Mich erinnert J wie Joseph an J wie Jeremia und dessen Erwerb eines Ackers als prophetische Zeichenhandlung, von dem die Bibel erzählt (Jeremia 32). Der Acker wurde zu einem Zeichen der Hoffnung dafür, dass die Wachstumskraft der Erde den kommenden Generationen den Weg weist zu einem Leben in Frieden und Gerechtigkeit.

Mit den europäischen Freiwilligen besuchen wir auch jüdische und arabische Schulen und kommen mit den wenig jüngeren Jugendlichen ins Gespräch. In Sachnin fragte einer der Europäer einmal: „Wie viele Geschwister habt ihr?“ Nacheinander sagten alle Araber und Europäer ihre Geschwisterzahl. Und siehe, da gab es keinen Unterschied zwischen ihnen, zwei, drei, vier. Und dann fragte einer: „Und wie viele Tanten und Onkel habt ihr?“ Da konnten die arabischen Jugendlichen schon mit ganz anderen Zahlen aufwarten als die Europäer, vierzehn, sechzehn, achtzehn. Für mich wurde mit einem Schlage deutlich, wie sehr sich die arabische Gesellschaft in Israel innerhalb einer Generation verändert hat und wie sehr sie sich dem westlichen Lebensstil anpasst, die sie durch die jüdische Gesellschaft kennen lernt. Erstaunt hat mich auch, wie begehrt von muslimischen Palästinensern in Israel die Plätze an einer christlich-arabischen Schule sind, die bessere Berufsaussichten „auch im Westen“ versprechen.

Wassila, die Lehrerin in Sachnin, erklärt uns, dass bis zum Schulabschluss arabisch unterrichtet wird, in Israel studieren können Araber aber nur an hebräisch sprachigen Hochschulen. Sie beklagt, dass an arabischen Schulen die Klassen erheblich größer sind als an jüdischen, weil viele arabische Lehrerinnen und Lehrer an jüdischen Schulen unterrichten müssen (aber nicht umgekehrt). Sie erzählt, dass die Curricula ziemlich ähnlich sind, aber vor allem der Geschichtsunterricht einer strengen Zensur unterliegt. Das arabische Narrativ der Geschichte des Landes im 20. Jahrhundert darf nicht zur Sprache kommen, nicht mal von den Schülern geschweige denn von den Lehrern. Ein Wort wie „Nakba“ ist schlicht tabu. Wassila kann von Kollegen erzählen, die deshalb angezeigt, bestraft und aus dem Schuldienst entfernt wurden.

„Ich bin Palästinenser und Christ und Israeli“, sagt Yohanna, unser Gesprächspartner in Nazaret und fährt dann fort, „Meine Muttersprache ist Arabisch. Ich bin in Jerusalem in Palästina geboren. Darum bin ich Palästinenser, so wie die Araber in Ägypten Ägypter und die in Syrien Syrer sind. Ich bin Christ und gehöre zu einer der über zwanzig verschiedenen Kirchen im Nahen Osten. Arabische Christen sind zahlenmäßig eine Minderheit, aber eine bedeutende in der arabischen Welt. Unsere Bibel ist ins Arabische übersetzt. Allah ist kein muslimisches, sondern das arabische Wort für „Gott“. „Allah“ steht in unserer Bibel. Zu „Allah“ beten wir in unserer Muttersprache. Ich lebe in Nazaret und bin darum Israeli, ein Staatsbürger Israels.“ Die arabischen Kirchen sind stolz auf ihre fast zweitausendjährige Geschichte. Manche Gemeinden werden bereits im Neuen Testament erwähnt: Jaffa in Apg10,36, Akkre in Apg 21,7 (Ptolemais). Als im 8. Jahrhundert die Muslime ins Land kamen, haben die Christen arabische Kultur und Sprache übernommen, aber (wie die arabischen Juden) ihre Religion behalten. Sie waren fast immer Minderheitskirche, haben keine Juden verfolgt und den Kriegsdienst verweigert. Als der türkische Sultan sie für die letzten Jahre seiner Herrschaft in seine Armee zwingen wollte, sind sie massenhaft ausgewandert. Auch 1948 haben sie weder für noch gegen die jüdischen Kampfverbände gekämpft. Bis heute verweigern sie meist den Militärdienst.

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Claudio Monteverdi, Marienvesper

  1. Die geheimnisvolle schöne Schwarze

Im Kontext der Marienvesper verstehen sich die beiden geheimnisvollen Texte „Nigra sum“ (Schwarz bin ich) und „Pulchra es“ (Schön bist du) von selbst als Rede und Anrede Marias. Die „Schwarze Madonna“ gilt als besonders wundertätig. Deshalb sind Kirchen mit einer Marien-Ikone aus schwarzem oder schwarz gefärbtem Holz oft Wallfahrtsorte. Auch Köln hat ein Bild der „Schwarzen Madonna“ in der Barockkirche „Maria in der Kupfergasse“.

Von einer schwarzen Schönheit ist auch in der Bibel zu lesen, und zwar in der Jüdischen Bibel, die die Kirche „Altes Testament“ nennt. Hier geht es nicht um Maria, sondern um eine andere Frau, um Sulamit. Mit großer Leidenschaft spricht sie und wird zu ihr gesprochen. Ihr und König Salomo werden die Liebeslieder zugeschrieben, die in dem Buch der Jüdischen Bibel gesammelt sind unter der Überschrift „Lied der Lieder“ oder „Hoheslied der Liebe“. Es ist eine Sammlung profaner Liebeslyrik, erotische und auch sexuell konnotierte Poesie voller morgenländischer Sinnenfreuden. Die Liebeslust ist von Gott und nicht vom Teufel, heißt es am Ende des Buches (8,6). Und sie hat unabhängig von Fortpflanzung ihren eigenen Wert als kommunikative Gabe. Die Heißverliebten sind nicht verheiratet. Sie können nicht jede Nacht zusammen sein (1,7; 2,17; 5,2-8). Sie müssen immer wieder neue „Liebesnester“ in Wald und Flur suchen (1, 6-7.16-17; 7,12). Die junge Frau hat sich dabei sogar einen Sonnenbrand geholt, was in dieser Kultur einen Makel darstellte. „Ich bin gebräunt, aber das hat meiner Schönheit keinen Abbruch getan… Verachtet mich nicht, weil ich so braun bin. Denn die Sonne hat mich verbrannt.“ (1,5-6). Erst die Übersetzungen machen das hebräische „braun“ zum griechischen und lateinischen „schwarz“. Die Auslegung, dass Sulamit aus Afrika komme, ist spekulativ.

In den Kanon der biblischen Bücher wurde das Hohelied aufgenommen, weil die erotischen Texte inzwischen umgedeutet wurden in spirituelle Texte, die die Liebe zwischen Gott und seinem Volk besangen. Aus dem Satz „Schön wie Jerusalem bist du, meine Freundin“ (6,4) wurde z. B. der Satz „Schön bist du, meine Freundin Jerusalem“. In den Worten des Liebhabers redet jetzt Gott und in denen der Liebhaberin das Volk Israel. Aus der menschlichen Minne wurde eine göttliche Minne, eine erotisch gefärbte leidenschaftliche Liebe zu Gott, die Gottes Liebe respondiert („…du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit all deiner Kraft“ 5.Mose 6,5), wie wir sie aus jüdischer und christlicher Mystik kennen.

In dieser ent-sexualisierten und theologisch gezähmten Interpretation wurde das Hohelied auch Teil der christlichen Bibel. Im Zuge der „Enterbungs- und Ersetzungstheologie“ setzte die christliche Auslegung die Kirche an die Stelle des Volkes Israel als die neue „Tochter Jerusalem (oder Zion)“, deren Liebhaber der Christus, der Messias, ist. Der „Bräutigam“ Jesus hatte seine „Braut“ kollektiv in der Kirche (ecclesia), individuell in der Seele (anima) der einzelnen Gläubigen.

Der Messias hat in der Kirche nicht nur seine unberührte Braut, sondern auch seine jungfräuliche Mutter. Denn nach traditioneller Vorstellung ist der Messias aus dem Volk Gottes wie aus einer Mutter hervorgegangen (Offenbarung 12). Durch die christliche Transformation wurde die Kirche zu Jesu Mutter und die irdische Mutter Jesu als „Gottesmutter“ zur himmlischen Repräsentantin der Kirche. Wie Maria zu lieben, heißt Jesus leidenschaftlich wie einen Bräutigam und wie einen Sohn zu lieben. Die einzelnen Mitglieder der Kirche werden mit Maria seelenverwandt. Ihre unerfüllten Wünsche und ihr ungestilltes Sehnen macht sich die Gottesmutter zu eigen. So wird die leidenschaftliche Sprache Sulamits zur leidenschaftlichen Sprache Marias als Mittlerin („medium“) zu ihrem Sohn und Bräutigam Jesus, als himmlische Fürsprecherin („Ora pro nobis!“), die mitfühlt als das mütterliche Herz Gottes.

Damit tritt sie in Konkurrenz zum Messias Jesus. Ihre Divinisierung kann so gesteigert werden, dass sie zu einem Teil der Trinitarischen Gottheit wird (so in der letzten Strophe des Echogesangs „Audi caelum“). Diesen Rang Mariens bestreitet mit Berufung auf die Bibel der Protestantismus in allen seinen Spielarten. Umso wichtiger wurde diese ausgeprägte Mariologie für die katholische Gegenreformation in der Zeit Monteverdis.

  1. Jüdische Psalmen in der christlichen Liturgie

Die Auswahl der Psalmen für die Liturgien der verschiedenen Marienfeste knüpft an verschiedene Elemente an. Das „Lied der Maria“ („Magnificat“ Lukas 1, 46-55) versteht sich von selbst. Die beiden Jerusalem-Psalmen 121 (hebr. 122) und 147, 12-20 werden dadurch zu „Marien-Psalmen“, dass Maria die himmlische Repräsentantin der Kirche als des „neuen Jerusalems“ ist (s.o.). Als Anspielung auf die Jungfrau Maria, die als Repräsentantin der „Mutter Kirche“ viele Kinder hat, wird das Mutterglück „der Verstoßenen“ in Ps 126,4 (hebr. 127,4) und der „Unfruchtbaren, die zur fröhlichen Mutter vieler Kinder wird“ in Ps 112,9 (hebr. 113,9)) gelesen.

Besonders verschlungen sind die Wege des Verständnisses und der Auslegung von Psalm 109 (hebr. 110) „Dixit Dominus“. Manche Übersetzungen schreiben das Wort HERR mit Großbuchstaben, wenn es den unaussprechlichen Gottesnamen umschreibt (V.1.2.4). An allen anderen Stellen meint das Wort „Herr“ irdische Herren. Im Psalm wechselt die Gottesrede mit Sätzen eines Zeremonienmeisters. Der hat bei der Krönung des Königs („seines Herrn“) die Aufgabe, den König als Stellvertreter Gottes auf Erden (als „Gottes rechte Hand“, als „Gottes Sohn“) einzusetzen, auszurufen und jedes Jahr neu zu bestätigen und ihm das Recht zu verleihen, zum Schutz des Volkes („für Recht und Frieden“) auch Kriege zu führen.

Je länger die Davidische Dynastie währte, desto mehr wurde klar, dass die irdischen Könige diesem Auftrag nicht gerecht wurden. Deshalb wurden die Aussagen auf den himmlischen Davidsohn, den kommenden Messias, übertragen, von dem dann der irdische David in diesem Psalm weissagt. Im Munde Davids ist dann  „sein Herr“, zu dem Gott, der HERR, redet, eine David überlegene Gestalt, nämlich der kommende Messias. Der besiegt nicht einen Feind, sondern alle Feinde, nämlich das universale Böse. In den Übersetzungen klingt die Formulierung geheimnisvoll paradox („Dixit Dominus domino meo“). Die Kirche hat sie später als einen Anfang trinitarischen Redens von Gott verstanden.

In der griechischen Übersetzung gibt es mehrere kleinere Abweichungen vom hebräischen Original. Die gravierendste Differenz ist V. 3: „Aus dem Mutterschoß habe ich dich vor dem Morgenstern gezeugt (oder: geboren)“. In dieser Fassung bezeugt der Vers nicht nur die Präexistenz des vor der Schöpfung gezeugten Gottessohnes, sondern auch die seiner Mutter Maria als des göttlichen Mutterschoßes („ex utero“). Das hat den Psalm in die Liturgie eines Marienfestes gebracht.

Jüdische Psalmen in der christlichen Liturgie können Ausdruck von respektvoller Teilhabe an der Tradition der jüdischen Religion und ein Bekenntnis zum unaufgebbaren jüdischen Erbe christlicher Theologie sein. Wenn die Kirche im Anschluss an die jüdischen Psalmen jeweils den Dreieinigen Gott preist („Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto“), bekennt sie damit, dass auch sie an den Gott Israels glaubt. Voraussetzung für dieses Verständnis ist, dass die Kirche Raum für eine andere, nämlich eine jüdische Deutung der Jüdischen Bibel und ihrer Psalmen lässt. Wenn sie ihre Deutung nicht mehr neben die der Juden stellt, sondern an deren Stelle setzt, die eigene Deutung also damit als die einzig richtige deklariert, stiehlt sie den Juden deren Bibel. Das geschieht im Sanctus der Marienvesper. Während die reguläre Messe das dreimalige Heilig der Seraphim aus Jesaja 6 unkommentiert zitiert („Sanctus, Sanctus, Sanctus Dominus Deus Sabaoth“), wird es hier mit Hilfe von 1.Johannes 5,7-8 trinitarisch bestimmt. Das Bewusstsein für die Problematik einer Enterbung und Ersetzung der jüdischen Traditionen durch die Kirche gab es in Monteverdis Zeit noch nicht. Sie ist erst im 20. Jahrhundert (in allen Kirchen) gewachsen. Für die gegenwärtige Rezeption alter Traditionen wie der der Marienvesper ist das zu beachten.

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Sind Sie Antisemit?

„Was für eine Frage! Natürlich nicht.“ Sie werden die Frage entschieden verneinen. Ich stelle sie trotzdem.

Antisemitismus hat sich nämlich nicht erledigt mit dem Schock über das Grauen, zu dem er führen kann: Sechs Millionen Menschen brutal ermordet, nur weil sie jüdisch sind, industriell organisiert… „Shoa“ nennen die Juden das, „Katastrophe“. „Nie wieder darf so etwas geschehen!“, haben sich damals alle vernünftigen Menschen geschworen. Und doch ist der Antisemitismus nicht ausgerottet. Und er bestimmt heute keineswegs das Verhalten nur einiger rechtsradikaler Politiker und Proleten, die einen jüdischen Jungen schlagen und ihm die Kipa vom Kopf reißen. Und er findet sich nicht nur im Denken und Tun von Arabern oder Muslimen, die auch auf deutschen Straßen wieder die mörderischen Parolen grölen. Der Bundestag hat zwar schleunigst die Rechtslage geändert, die es aber einem Kölner Richter immerhin erlaubte, den Jahrtausende alten Ritus der Beschneidung männlicher Säuglinge über Nacht zum Straftatbestand zu erklären.

Im Lehrerzimmer eines Gymnasiums in unserer Region kommt das Gespräch auf einen Geschäftemacher, der mit wenig Arbeit viel Geld verdient. „Vielleicht ein Jude“, sagt einer der Lehrer halblaut. Darauf fragt einer der Kollegen laut und vernehmlich: „Bist du Antisemit?“ Betretenes Schweigen im Kollegium. „Was für eine Frage! Natürlich nicht“, würde der Studienrat jetzt gerne antworten. Aber er fühlt sich auch ertappt. Ein anderer springt ihm bei: „War doch nicht so gemeint. Michael, sei doch nicht so humorlos!“ Schließlich meint ein anderer: „Ist doch nicht so schlimm, es hat ja kein Jude gehört.“ Was alle nicht wissen, Michael ist Jude. Er kann nicht wagen, sich in Deutschland als deutscher Jude zu outen… und hat dafür jetzt neue Gründe geliefert bekommen. Gefahr droht ihm als Jude nicht nur von Schülerinnen und Schülern, sondern auch von seinen Kollegen und Kolleginnen, studiert, gebildet, intellektuell. Auch unter ihnen ist der Antisemitismus lebendig. Juden in Deutschland fühlen sich heute wieder gefährdet. Jüdische Orte und jüdische Personen brauchen Polizeischutz. Welch eine Schande!

Der Antisemitismus ist nicht erst dann gefährlich, wenn er Konzentrationslager baut. Der Antisemitismus, der zur Katastrophe geführt hat, begann in den Köpfen und Herzen der Menschen, die ihre Torheiten und Bosheiten von Generation zu Generation weiter gegeben haben. Gezielt oder gedankenlos. Deshalb muss der entschiedene Kampf dagegen dort beginnen, wo er entsteht und weiter gegeben wird. Auch in Kölner Gerichtssälen und Lehrerzimmern. Und die schlichte Frage „Bist du Antisemit?“ kann dabei hilfreich sein.

So frage auch ich manchmal. Wenn die antisemitischen Klischees laut werden. Die Anlässe sind nicht selten. „Nur keine jüdische Hast!“ „Laut wie in einer Judenschule.“ „Jüdische Geilheit“. „Jüdische Raffgier, Geiz, Neid, Berechnung, Überlistung, Übervorteilung…“ Wenn „Judenwitze“ erzählt werden, die Jüdisches verspotten und herabsetzen. Wenn aus dem Arsenal des politischen Antisemitismus geschöpft wird  („Brunnenvergifter, Kindermörder, Weltverschwörung…“) oder die theologischen Klischees bedient werden („Gottesmörder, Stammesreligion, Rachegott, Vergeltungsdenken, Betrüger, Verräter, Judas-Jude…“). Es hilft nicht, die Begriffe zu tabuisieren. Das Denken muss sich ändern.

„Bist du Antisemit?“ Ich habe mit dieser Frage gute Erfahrungen gemacht. Die Frage bewirkt anderes als die Konfrontation „Was du sagst oder tust, ist antisemitisch“ oder „Du bist Antisemit“. Die Frage erlaubt, sie zu verneinen. Sie eröffnet bei dem Gefragten Zeit zum Innehalten, Gelegenheit zum Nachdenken, Einsicht in einen Fehler… und dann vielleicht auch Bedauern, Umkehr, Verhaltensänderung. Wehret den Anfängen! Lieber mit einer höflichen Frage als mit einem nutzlosen Vorwurf.

Neuerdings verkleidet sich der Antisemitismus auch als Israelkritik. Israel bekommt dann die Rolle des Juden unter den Staaten. Pauschale Israelkritik durch die arabische und muslimische Welt bedient sich der Klischees des europäischen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts (Hakennase, Krake, Krösus, Vergewaltiger…). Und Europäer lassen ihre alten Klischees wieder neu aufleben. Es gibt sie, die antisemitische Israelkritik.

Aber nicht jede Kritik an Israel ist antisemitisch. Natürlich gibt es eine berechtigte Kritik der politischen Entscheidungen von Knesset und Regierung Israels. Und es gibt solche – auch in Deutschland, die diese berechtigte Kritik damit verhindern wollen, dass sie ihr das Etikett „antisemitisch“ anheften. Wir müssen lernen zu unterscheiden und zu differenzieren. Wir haben sowohl denen entgegen zu treten, die ihren Antisemitismus als Kritik an Israel verstecken, als auch denen, die die Kritik an Israels Politik damit verhindern wollen, dass sie sie als Antisemitismus diffamieren.

Antisemitisch wird die Kritik an Israel dann, wenn das, was kritisiert wird, als „typisch jüdisch“ hingestellt wird, vor allem

  • wenn mit doppeltem Maß (double standards) gemessen wird, also an Israel kritisiert wird, was sich auch andere Staaten leisten, ohne dass diese kritisiert werden, oder Israel unverhältnismäßig kritisiert wird, etwas angeprangert wird, was bei anderen Staaten verschwiegen, verharmlost oder übersehen wird,
  • wenn Israel als Staat in Frage gestellt wird (delegitimization),
  • wenn Israel pauschal verteufelt wird (demonization).

Im Englischen nennt man die antisemitische Israelkritik deshalb „3D-Antisemitism“: double standards, delegitimization, demonization.

 

Woher kommt der Antisemitismus? Woher? Aus der Unfähigkeit der Menschen, das Anders-Sein eines anderen zu akzeptieren und zu respektieren. Es ist eine Form des vielfältigen Fremdenhasses. Wir wissen heute, dass der Hass auf das Fremde in der Angst vor dem Fremden begründet ist. In der unbegründeten irrationalen Angst, die mit dem Fremdwort „Xeno-phobie“ beschrieben wird. Unter den vielen Formen von Fremdenhass ist der Hass auf das Jüdische singulär. Es gibt keine Gruppe in der Geschichte der Menschheit, der so nachhaltig mit Hass begegnet wurde und wird wie dem Judentum. Der Antisemitismus findet an der jüdischen „Kultur des Anders-Sein“ Nahrung.

Die perfideste Form des Antisemitismus ist die Behauptung, er habe seinen Grund im Jüdisch-Sein der Juden selbst. Juden seien selber schuld. So entschuldigen Antisemiten ihr Verhalten. Das ist so absurd wie die Behauptung, die sexuelle Gewalt eines Mannes gegen eine Frau habe ihre Ursache in deren Busen.

In der Bibel wird erzählt, wie das Volk der Amalekiter heimtückisch das unbewaffnete Volk Israel bei seinem Zug durch die Wüste in einen Hinterhalt gelockt, geschlagen und beinahe vernichtet hat. So ist „Amalek“ zu einer Metapher geworden für die Erfahrung der Juden, permanent bedroht und verfolgt zu sein, nur weil sie jüdisch sind. Die Bibel erzählt von babylonischem, persischem und griechischem Antisemitismus. Seit die Kirche dazu Macht hatte, hat auch sie ihn gefördert und selbst praktiziert. Seine theologische und kirchliche Form wird „Antijudaismus“ genannt, in dem (neben anderen Einflüssen) der moderne säkulare Antisemitismus wurzelt.

„Antisemitismus“ ist übrigens ein irreführendes Kunstwort aus dem 19. Jahrhundert. Dass orientalische Sprachen, Völker und Kulturen „semitisch“ genannt werden, hat keinen Einfluss auf die Bedeutung des Wortes „Antisemitismus“. Es meint nicht Feindschaft gegen orientalische Völker, sondern schlicht Judenfeindschaft.

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Gott auf der Anklagebank

„Nichts kann mich aus Gottes Hand reißen.“ Das ist ein Glaubensbekenntnis, kurz und knapp. Keine komplizierte Dogmatik. Ein einfaches und universales Bekenntnis. In der jüdischen und christlichen Bibel, im Koran und anderen Heiligen Schriften finden wir es. „Nichts kann mich aus Gottes Hand reißen. Komme, was da wolle! Nichts kann mich von der Liebe und Treue meines Schöpfers trennen. Ich kann nicht tiefer fallen, als in die ausgebreitete Hand Gottes.“ Eine wunderbare Metapher. Ausdruck eines elementaren Vertrauens, hilfreich und lebensnotwendig.

„Gott hat mich in der Hand“ – das kann aber auch Ausdruck sein von ohnmächtiger Wut. Das kann der Aufschrei eines Menschen sein, dem das Leben übel mitgespielt hat, der brutale Erfahrungen machen musste, die ihm nicht länger erlauben, an Gottes Liebe und Treue zu glauben. Für den sich Gottes freundliches Angesicht in eine boshafte Fratze gewandelt hat.

Hiob heißt ein solcher Mensch in der Bibel. Eine Hiobsbotschaft nach der anderen trifft ihn. Seine Familie wird ausgelöscht. Er wird mit einer schmerzvollen Krankheit gequält, die ihn nicht leben und nicht sterben lässt. Sein Gottvertrauen hat sich zum Protest gewandelt. Er kämpft gegen Gott, macht Gott Vorwürfe und setzt ihn auf die Anklagebank.

Und dabei setzt er sich mit seinen frommen Freunden auseinander, die bei ihren Beileidsbesuchen alles falsch machen, was man nur falsch machen kann, wenn man einen Menschen trösten will. Statt Hiob zur Seite zu stehen und ihn in seinem Protest gegen Gott zu stärken, ergreifen sie für Gott Partei und verteidigen ihn. „Füge dich!“ sagen sie. “Gott will dich prüfen, strafen, erziehen. Er meint es gut mit dir.“ Hiob aber wirft sie raus. „Bleibt mir gestohlen mit eurem Gott! Es ist ein Gott in eurer Faust. Nichts als eine Projektion eurer Wünsche. Nicht wir haben Gott in der Hand, sondern er hat uns in der Hand.“ „In Gottes Hand ist die Seele von allem, was lebt“ (Hiob 12,10), schleudert er ihnen entgegen.

Gott ist souverän. Und darum bleibt Hiob angesichts des Leids nichts anderes als Gott zu verklagen. Die Frage nach Gottes Gerechtigkeit offen zu halten statt sie mit frommen Antworten zu erledigen. Vertrauen in Gott wandelt sich angesichts des Leides nicht in fromme Ergebung, sondern in flammenden Protest. Gott und das Böse in der Welt zusammen zu denken – das geht nur so, dass Gott in Frage gestellt wird. In der offenen Frage nach Gottes Gerechtigkeit erweist sich das wahre Gottvertrauen.

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